Ein effektives Lagermanagement entlang der gesamten Lieferkette ist in vielen Branchen entscheidend, um eine reibungslose Versorgung sicherzustellen. Dabei kommt es einerseits darauf an, ausreichend viele Materialien oder Produkte auf Lager zu halten, um die Nachfrage der Kunden bedienen zu können und andererseits nicht unnötig viel vorrätig zu haben, um Kosten für die Lagerhaltung zu minimieren. Die richtige Balance zwischen zu wenigen und zu vielen Beständen zu finden, ist Aufgabe der Bestandsoptimierung. Eine wichtige Rolle spielen dabei Sicherheitsbestände. Was es damit auf sich hat, welche (wichtige!) Rolle Prognosen dabei spielen und wie Unternehmen das alles nutzen können, um ihr Lagermanagement zu verbessern, beschreiben wir in diesem Blogbeitrag.
Der Sicherheitsbestand ist eine zusätzliche Menge an Lagerbestand, die über den prognostizierten Bedarf hinausgeht. Er dient als Absicherung gegen Bedarfsschwankungen, etwa durch Unsicherheiten in der Nachfrage, Lieferverzögerungen oder unvorhergesehene Ereignisse. Der Sicherheitsbestand wird üblicherweise im Zuge der Lagerdisposition von Disponenten festgelegt.
Spätestens, wenn die kurzfristige Kundennachfrage vorhandene Lagerbestände übersteigt, erschließt sich die Wichtigkeit der sogenannten Wiederbeschaffungszeit im Zusammenhang mit der Bestandsoptimierung: Die Wiederbeschaffungszeit umfasst den Zeitraum von der Bestellung eines Materials oder Produkts bis hin zu seiner Verfügbarkeit im Lager, wobei meist mindestens die Produktion des Produkts und der Transport ins Lager nennenswerte und zeitintensive Faktoren sind. Der Sicherheitsbestand muss also vor allem die Bedarfsschwankungen innerhalb der Wiederbeschaffungszeit abdecken.
Idealerweise wird der Sicherheitsbestand nicht angefasst. Bei Bedarfsschwankungen hilft er, die Nachfrage dennoch zu bedienen. Ein Bestand von Null im Lager zu einem gewissen Zeitpunkt sorgt zwar verständlicherweise für Nervosität beim Bestandsmanager. Er ist aber unkritisch, wenn spätestens mit der nächsten Nachfrage wieder eine Lieferung im Lager eingetroffen sein wird, die diese und weitere direkt anschließenden auftretenden Bedarfe deckt. Sobald das nicht mehr möglich ist – der Bestand also theoretisch unter Null fallen würde – müssen die Kunden also entweder länger auf die Bearbeitung einer Bestellung warten, als ihnen lieb ist, sich mit einer Teillieferung abfinden, oder sich einen anderen Anbieter suchen. Kundenunzufriedenheit und Kundenabwanderung sind die unangenehmen Folgen für das Unternehmen.
Dass der Sicherheitsbestand mal nicht ausreicht, ist zwar unerwünscht, kann aber vorkommen. Wie selten, das legt ein Unternehmen in Form des Lieferbereitschaftsgrads oder Servicegrads für jedes einzelne Material oder Produkt fest. Hierbei werden zwei Ansätze unterschieden:
Je näher man an die idealen 100 % Service- bzw. Lieferbereitschaftsgrad heranrücken möchte, desto mehr Lagerbestände muss man in Kauf nehmen.
Oben haben wir erwähnt, dass ein Sicherheitsbestand dazu da ist, gegen Unsicherheiten im Bedarf abzusichern. Er ist explizit nicht dazu da, um die vorhersehbare Nachfrage zu bedienen. Je besser man also die Treiber der Nachfrage nach einem Produkt oder einem Material kennt – beispielsweise Trends, Saisonalitäten oder äußere Einflussfaktoren (z. B. Rohmaterialpreise oder das Wetter) – desto präziser kann man die künftige Nachfrage abschätzen. Prognosemodelle liefern hierbei einen ungemeinen Mehrwert, da sie diese Aspekte basierend auf historischen Daten systematisch analysieren, objektiv bewerten und schließlich in die Vorhersage einbeziehen. In der Folge hat man also möglichst genaue Prognosen für die Nachfrage der nächsten Tage, Wochen oder Monate vorliegen.
Prognosen sind aber immer auch mit Unsicherheit behaftet. Je besser also das Vorhersagemodell, desto kleiner die Prognoseunsicherheit, desto geringer der benötigte Sicherheitsbestand. Wüsste man 100%ig, welche Nachfrage in der kommenden Zeit zu erwarten ist, bräuchte man keinen Sicherheitsbestand. Man hätte genau zum richtigen Zeitpunkt die richtige Menge zur Auslieferung verfügbar. Eine traumhafte Vorstellung. Die Realität kommt aber nun mal mit Unsicherheit in Form von Prognosefehlern. Werden diese auf Basis historischer Daten “simuliert”, so bekommt man einen Hinweis darauf, wie gewichtig diese unvorhersehbaren Umstände (z. B. ungewöhnliche Nachfrage oder Lieferverzögerungen) sind, gegen die der Sicherheitsbestand absichern soll.
Die Planung, die durch fundierte Prognosemodelle wesentlich unterstützt werden kann, ist also eine wichtige Vorstufe der Lagerdisposition, die neben anderen Faktoren u.a. den Sicherheitsbestand für ein Produkt oder Material festlegt.
Sicherheitsbestände festzulegen ist eine komplexe Aufgabe für Disponenten: Einerseits müssen hierfür viele Faktoren in Betracht gezogen werden (z. B. Verhalten der Bedarfsnachfrage, Wiederbeschaffungszeiten, Lieferantenleistungen, Lieferbereitschaftsgrade, Kostenüberlegungen), andererseits sind Disponenten oft für eine Vielzahl an Artikeln verantwortlich. Deshalb bietet es sich an, die Ermittlung des Sicherheitsbestands von wirksamen Datenanalyseverfahren unterstützen zu lassen, die komplexe Zusammenhänge zuverlässig und systematisch verarbeiten können. Der Disponent kann sich dann auf die Disposition von Sonderaufträgen oder die Stammdatenpflege konzentrieren sowie eine Kontrollfunktion einnehmen (Gudehus, 2011, S. 137).
Gudehus (2011) beschreibt beispielsweise eine Reihe von Formeln, wie Sicherheitsbestände bestimmt und optimiert werden können. Diese unterschiedlichen Vorschläge und Methoden funktionieren für verschiedene Unternehmen und Produkte sicherlich auch unterschiedlich gut. Allen gemeinsam ist ihre Begründung auf stichfesten Formeln, die von einem schlechten Gefühl oder Panikmache bei der Disposition unbeeindruckt sind. Aber nicht alle verarbeiten alle Größen, die im Rahmen der Sicherheitsbestandsermittlung potenziell relevant sein können, wie beispielsweise Prognosefehler, Wiederbeschaffungszeit und Lieferbereitschaftsgrad. Weitere interessante Größen sind beispielsweise die Nachschubmenge während der Wiederbeschaffungszeit oder die Streuung der Wiederbeschaffungszeit. Sicherlich schließt das Nichtvorhandensein einige dieser Größen von vornherein die Anwendung einiger dieser Formeln aus und man muss auf simplere zurückgreifen.
Sehr wichtig ist es – wie die kürzlichen Zeiten von Lieferengpässen und erhöhten Wiederbeschaffungszeiten zeigen –, die Verfahren, Formeln und Modelle auch immer wieder zu hinterfragen und auf neue Gegebenheiten anzupassen, damit sich verändernde Marktbedingungen Beachtung finden können. Ein transparentes System zur Überwachung von aktueller Nachfrage und Lagerbeständen sowie zur Bewertung der Güte von Prognosemodellen und Sicherheitsbestandsformeln spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt können hierdurch vielleicht auch sukzessive Informationen in den Stammdaten ergänzt werden, die ausgefeiltere Sicherheitsbestands-Berechnungsmethoden zulassen. Durch geeignete Anpassungen im Vorgehen können Unternehmen ihre Prognosegenauigkeit erhöhen und ihren Sicherheitsbestand immer weiter optimieren. So können sie Bestandskosten senken und gleichzeitig die Zufriedenheit ihrer Kunden verbessern.
Sie möchten erfahren, wie gut Ihre aktuell verwendeten Sicherheitsbestandsberechnungsmethoden funktionieren und ob es vielleicht noch bessere Alternativen gibt, die Ihre Lagerkosten noch weiter senken können indem Sie Bestände optimieren? Schauen wir es uns gemeinsam an!
Gudehus, T. (2011). Dynamische Disposition: Strategien, Algorithmen und Werkzeuge zur optimalen Auftrags-, Bestands- und Fertigungsdisposition. Springer-Verlag.
Ihr Partner für Predictive Analytics und Data Science.
Weitere Angaben, u. a. zum Datenschutz, finden Sie in unserem Impressum und unserer Datenschutzerklärung.
© 2024 prognostica GmbH